Transride de Schotter

Die Schwedentour der Extraklasse

Der große Konferenzraum war bis auf den letzten Platz belegt. Aufmerksam lauschten die Teilnehmer dem Referenten, der am Overhead-Projektor in routinierter Form auftrat. Er erläuterte die in 2-jähriger Arbeit entstandenen schwedischen Planungen, die an die Teilnehmer aus Holland und Deutschland später in Form von ca. 40 Seiten Papier überreicht wurden...

So ungewöhnlich begann am 9.6.1997 auf der Nachtfähre Kiel-Göteborg die Transride dé Schotter `97, eine Tour durch Südwestschweden, veranstaltet von dem für viele altbekannten Schweden Per Öhl. Er fährt geradezu leidenschaftlich gerne nicht-asphaltierte Straßen, gilt auch bei motorrad-technischen Belangen als Experte und ist, so scheint es, in seiner Freizeit ständig mit seiner Transalp auf Achse, oft auch in Mitteleuropa. Mittlerweile hat er rekordverdächtige 160.000 km auf dem Tacho, einmal tourte er als Aussteiger auf Zeit rund ums Mittelmeer. Kurz: der Name Per ist für viele eine Art Markenzeichen, kein Wunder also, daß die Resonanz auf seine Tour-Ausschreibung groß war, so groß, daß mangels Übernachtungskapazitäten leider nicht alle Interessenten berücksichtigt werden konnten. Nach einigem hin und her waren schließlich 29 Teilnehmer vom niederländischen und deutschen Transalp-Club mit von der Partie.

In Göteborg angekommen, gab es die ersten beiden Tage allerdings noch keine Touren, die Tagesprogramme bestanden ausschließlich aus Fahr(sicherheits)-Trainings auf Asphalt und im Gelände, so daß alle reichlich Gelegenheit hatten, die Beherrschung ihrer Maschine zu verbessern und sicherer zu werden. Per nutzte seinen Heimvorteil vortrefflich: er kannte in und um Göteborg super Stellen wie etwa eine verlassene Kiesgrube, wo wir uns einen Nachmittag nach Lust und Laune austobten. Dann gings endlich los mit den Tagestouren, die allesamt in Gruppen von 4 - 6 Leuten nach Roadbook zu fahren waren (und deren Benutzung Per uns im Konferenzraum der Fähre erklärt hatte). Das ganze erwies sich als unkompliziert und klappte meist wie am Schnürchen, was auch daran lag, daß Perfektionist Per die Strecken bei der Vorbereitung und Kontrolle der Roadbooks gleich mehrmals abgefahren hatte - ein ungeheurer Aufwand von mehreren 1000 km, dessen Früchte wir jetzt ernten konnten.

Transride dé Schotter - der Name enttäuschte nicht. Schweden bietet tatsächlich eine Unmenge von nicht-asphaltierten Straßen, darunter fallen natürlich die Wege durch die reichlich vorhandenen Wälder, aber auch teilweise ganz "normale" Landstraßen letzter Ordnung, die z.B. versteut liegende Häuser und Höfe miteinander verbinden. Pers Auswahl umfasste alle möglichen Variationen: grober und festgefahrener Schotter, Sand, Straßen aus Kies, teilweise völlig festgefahren. Stellenweise kann man auf all diesen Belägen auch sehr zügig fahren, aber wehe, es muß mal etwas schärfer gebremst oder ausgewichen werden...zu Nebenwirkungen und Risiken können sie einige Transalpfreunde befragen....aber ernste Ausfälle gab es zum Glück keine. Das Befahren all dieser Straßen und Wege ist übrigens, von wenigen Ausnahmen abgesehen, völlig legal. Auch die Leute, die wir dort vereinzelt passierten, waren uns gegenüber meist freundlich eingestellt.

DieTagesetappen waren oft um die 300 km lang, nicht gerade wenig angesichts der gewählten Straßen, doch es machte unheimlich Spaß. Die Strecken führten in das ländlich geprägte Gebiet südlich und östlich von Göteborg, hier gibts Wälder und Seen ohne Ende. Dann ging es entlang der schwedischen Westküste nach Norden, für mich wegen der abwechslungsreichen Küstenformation mit den vielen vorgelagerten Inseln und Felsen (Schärenküste) der landschaftlich schönste Teil der Reise. Natürlich hatte Per auch kulturell oder geographisch interessante Stellen in die Strecken "eingebaut", wie etwa Wikingergräber, prähistorische Felszeichnungen, Aussichtspunkte, besonders hübsche Orte etc. Nördlichster Punkt war die Grenze zu Norwegen; eine Route führte auch am größten Binnensee, dem Vänern, vorbei, der 10mal so groß wie der Bodensee ist, leider hatten wir da gerade Regenwetter, so daß wir nicht zum Verweilen eingeladen wurden. Ansonsten machten das Wetter allerdings keine Probleme, es war zumindest weitgehend trocken.

Fast täglich übernachteten wir woanders, meist in den für Campingplätze Skandinaviens typischen Holzhütten. Und was wäre das Nonplusultra an Unterkunft? Natürlich ein Blockhaus in idyllische Lage an einem See. Kein Problem - auch in einem solchen Quartier wohnten wir zu Anfang und später nochmals eine Nacht. Auch der erwähnte Regentag ließ sich hier vortrefflich beenden - in der riesigen holzbeheizten Sauna mit anschließendem Sprung in den See.

Nun war aus Kostengründen meist Selbstverpflegung angesagt. Man nehme 25 Dosen Ravioli und kippe sie in einen riesigen Topf...denkste! Vielmehr lief zu unserem Erstaunen am ersten Abend eine Art Gourmet-Maschinerie langsam, aber unaufhaltsam zur Hochform auf. Unser Organisator schleppte ständig Tüten und Behältnisse an, verschwand mit dem Begleitfahrzeug, um noch mehr anzukarren, z.B. einige von seiner Mutter im Voraus zubereitete Speisen, seine Freundin Mona war mit in der Küche zugange, Helfer sausten emsig umher, am Schluß war ein riesiges Büffet mit schwedischen Köstlichkeiten angerichtet, mit Lachs, Shrimps, Rentierschinken, verschiedenem Kaviar, Salattorte und und und. Ich dachte noch, daß Per uns sicher was ganz Besonderes hatte bieten wollen an diesem Abend. Wie falsch! Tatsächlich war die Verpflegung, selbst gekocht oder in den von Per reservierten Restaurants, die ganze Zeit auf - für die Verhältnisse - wahnsinnig hohen Niveau. Unsere Mahlzeiten bestanden aus gegrillten Fjordlachs oder rohem eingelegten Rinderfilet oder Krabben und anderen Schalentieren oder Elchbraten... Natürlich kochten wir auch einmal Nudeln - aber wie: erstmal verschiedene Nudelformen, dazu wurden 4 leckere Saucen gekocht - nach Rezepten aus dem schwedischen Kochbuch, das Per in der Küche für die "Köche" ins Deutsche übersetzte... Für Brot und Spiele war also bestens gesorgt.

Vollends die Krönung aber war nun, daß Pers Bemühungen um ein attraktives Programm hier immer noch nicht aufhörten - er, der übrigens im zivilen Leben Dozent für Maschinenbau an einer Uni ist, scheint sich die Meßlatte gerne hoch zu setzen. So bot er im Verlauf der 10 Tage immer wieder verblüffende Überraschungen: Mal waren es selbstentworfene "Transride"-T-Shirts für alle, mal gab es abends in der Dämmerung eine traumhafte Klippenwanderung, mal hatte er ein Ausflugsboot nur für uns organisiert, ein anderes Mal kamen wir "zufällig" an einer bekannten Grand-Prix-Rennstrecke vorbei (Scandinavian Raceway in Anderstorp), die er für eine Stunde exclusiv für uns gemietet hatte - Schräglagen bis zum Anschlag und achterbahnmäßiges Auskosten der Zentrifugalkräfte in den ewig langen Kurven, dazu kein Gegenverkehr, eine übersichtliche und immens breite Fahrbahn, das machte fast jedem Spaß (übrigens, so stellten wir fest, haben manche Reifen mit sehr großem Negativprofil-Anteil wie z.B. Michelin T63 , anders als man zunächst annimmt, bei allen Schräglagen bis hin zum Aufsetzen überhaupt keine Haftungs-Probleme!). Mal dinierten wir nachmittags in einem uralten Gasthof von 1663 oder so ähnlich, mal war abends nach der Tagesetappe noch Kanufahren angesagt... da verging die Zeit wie im Flug.

Am Ende der Tour, 2500 km lagen hinter uns, waren wir schließlich wieder in Göteborg angelangt, auf einem Zeltplatz direkt an der Ostsee. Die Überraschung kam jetzt einmal von unserer Seite und war für Per: als Dank für seine außergewöhnliche Veranstaltung machten wir heimlich eine kleine Sammlung, so daß wir ihm einen Gutschein über 2 Satz Reifen nebst einer selbstgefertigten Dankes-Urkunde überreichen konnten. Die Stimmung unter den Teilnehmern war sehr harmonisch. Nach der Belichtung diverser Gruppenbilder und einem letzten Dinner am Zeltplatz, das durch einen heftigen Wolkenbruch gestört wurde (zum Nachtisch: Erdbeeren mit Sahne), mußten die meisten leider die Fahrt zur Fähre antreten. Man blickte vom Schiff auf das kleiner werdende Göteborg zurück mit dem Gefühl, einen wirklich außergewöhnlichen Urlaub erlebt zu haben. So eine Veranstaltung gibts nicht alle Tage, aber, vielleicht in ein paar Jahren. Wie wärs, Per?