Raid d'Plzen

3.-5. Oktober 1997

Der Tag der Deutschen Einheit fiel heuer recht günstig auf einen Freitag. Das lange Herbstwochenende bot sich also gut für eine Motorradtour an, zumal der Wetterbericht auch nicht die schlechtestn Prognosen verbreitete. Der Transalp-Stammtisch Franken, allen voran Stefan Kremer, gab sich viel Mühe eine Tour auszuarbeiten, die sowohl Onroad- wie auch Offroad-Freunde auf ihre Kosten bringen sollte. Da MotorradfahrerInnen, insbesondere die Transalpisti sehr gesellig sind, ereilte der Ruf nach Freiheit und Abenteuer auch die anderen Transalp-Stammtische in diesem unserem Lande. Insgesamt fanden sich 16 lustige Leutchen zusammen. Frau Antje und ich waren bereits am Donnerstag (weicheimäßig mit der Dose) angereist, die Hannoveraner trudelten im Laufe des Freitags bei Luigi ein. Über die langen Nächte und die anstrengenden Tage danach hüllen wir hier mal das Schweigen. ...

Samstag in der Früh fuhren wir nach Erlangen, wo wir noch Florian auflasen und uns nach einer Tankpause auf den Weg zum Treffpunkt bei Neumarkt in der Oberpfalz machten. Am Treffpunkt wurden wir schon von Stefan, Bettina, Andreas, Manfred und Rainer mit Tochter Julia erwartet. Nach der Ausgabe der Roadbooks wurde noch ein Briefing abgehalten und schon ging es los. In mehr oder weniger kleinen Gruppen fuhren wir zeitversetzt los, wobei sich die einen oder anderen schon nach kurzer Zeit wieder trafen und teilweise neu formierten.

Die Wege führten uns zunächst nach Thürsnacht, wo wir die erste Schotteretappe fanden und weiter über Prönsdorf und Mühlhausen nach Guttenberg, zu einer weiteren Geländeeinlage. Mich wunderte, wieviele offizielle geschotterte Wege es doch noch in Deutschland gibt, hier in der Oberpfalz war ich sicher nicht das letzte mal. Auf den folgenden 20 Kilometern kamen wir noch dreimal vom asphaltierten Wege ab, fuhren dann über Ensdorf und Pretzabruck nach Heinrichskirchen, wo bei Kilometer 139,8 ein weiterer Offroad-Abschnitt begann. Nach einigen Verfransern zwischen Moosdorf und Weislohe, quälten wir uns dann einen (falschen) Waldweg hinauf, der fast zum ”way of no return“ wurde. Wir mußten an einem schräg abfallenden Hang wenden und natürlich drehte mein total abgefahrener Stollenreifen durch. Durch die Hanglage war mein rechtes Bein viel zu kurz und purzel, lag ich auch schon im Gras. Durch meinen Ärger hatte ich dann doch genug Kraft, die Maschine alleine aufzuheben. Die anderen konnten mir nicht zu Hilfe kommen, weil es schier unmöglich war die Maschinen an dieser Stelle abzustellen. Na ja, nichts passiert, nur das Ego etwas angekratzt. Kurz darauf fanden wir dann doch den richtigen Weg. Wahnsinn, ein steiler Wald-Schotterweg mit offiziellem Hinweisschild auf die nächste Ortschaft, hier muß ich unbedingt nochmal hin.

Kurz darauf hatten wir wieder Asphalt unter dem Gummi und trafen mit etwas Verspätung in Gleißenberg am verabredeten Gasthof zum Mittagessen ein. Nach dem Essen machte sich zwar etwas Müdigkeit breit, das Blut war schließlich im Magen, aber die Vorfreude auf noch mehr Offroad-Einlagen war doch größer. Bald darauf erreichten wir bei Vsruby die tschechische Grenze, ein kurzer Blick des Zöllners auf den Personalausweis genügte und schon waren wir drin. Kaum zwei Kilometer in Tschechien, führte uns das Roadbook natürlich erst recht auf Schotter weiter, aber auch die ”schlechten“ asphaltierten Straßen ließen die Federbeine der Alps und unsere Herzen vor Freude hüpfen. Die eine Stelle im Wald, wo noch etwas schmieriger Schlamm lag hätte nicht unbedingt sein müssen, aber bei den meisten ging es ja gut. Wie wir dann später erfuhren, hatte Stefan sich an dieser Stelle unbedingt seinen Motorschutz abreißen müssen. Aber wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne.

Über Kolovec, Krenice und Merklin fanden wir bei Dobrany den nächsten Treffpunkt, ein Motocross-Gelände, ganz in der Nähe von Plzen. Als unsere Gruppe ankam, waren die anderen schon da und wir kamen gerade zurecht, um zu sehen wie Stefan und Marco ihre Alps, an einem Steilhang ablegten, natürlich beide aufeinander. Bis ich auf einem harmloseren Weg bei ihnen oben ankam, hatten sie schon mit Andreas´ Hilfe die erste Maschine geborgen. Sah der Hang von unten her sehr schwierig aus, von oben hatte er doch etwas von seinem Schrecken verloren und als einige andere Alper sogar mit Straßenreifen den Berg bezwangen, mußte ich es mit meinen Arschiglatties natürlich auch noch versuchen. Einmal im Hang war ich froh, daß er sich gar nicht so schlecht fahren ließ und fuhr gleich nochmal hinauf, man muß es nur mal ausprobieren.

Das sagte sich auch Imke, holte Anlauf und ... schmiß ihre Maschine ungefähr in der Mitte der Auffahrt hin, während sie noch ein paar Meter den Hang runterkugelte und wie ein Maikäfer auf dem Rücken liegenblieb. Zum Glück sah alles viel spektakulärer aus, als es war, die Knochen waren noch alle heil, nur der Tank zeigte ein paar Beulen. Mit etwas Hilfe wurde die Maschine gedreht und wieder nach unten gefahren. Dann, zur Überraschung aller, versuchte sie es ein zweites mal, diesmal war der Versuch erfolgreich. ”Das habe ich jetzt gebraucht“, rief sie, ”sonst hätte ich nie wieder die Courage für so eine Strecke gefunden!“ Da der Rest der Truppe nun drängte weiterzufahren, weil wir den Zeitplan schon überschritten hatten, rollten wir gemeinsam und dafür etwas flotter nach Plzen weiter.

Stefan hatte in der Brauerei einen Tisch bestellt und wir wollten nicht zu spät kommen, bzw. den Tisch verlieren. Vom Hotel Slovan aus, in dem unsere Zimmer reserviert waren, rief er noch schnell in der Brauerei an, daß wir später kämen. So hatten wir noch genügend Zeit zum Duschen. Der Duschraum war von der Größe her für eine halbe Schulklasse ausgelegt, so daß unsere Mädels auch noch Platz in der Männerdusche fanden, allen voran Imke, die mit den Beulen (im Tank ;-)) ). Aus den versprochenen fünf Minuten Fußweg zur Brauerei wurden dann doch derer fünfzehn, was unserem Hunger und natürlich auch dem Durst noch vergrößerte. Endlich am Tisch mundete das Bier vorzüglich und das Essen war nicht nur sehr schmackhaft sondern auch ziemlich üppig bemessen. Es gab Gänsekeule, Schnitzel in Kartoffelpufferteig, Wildgulasch usw. zur Auswahl. Vorneweg noch einen Aperitif und eine Kartoffel- oder Rindersuppe und hinterher Palatschinken mit Eis. Und das beste daran, mitsamt den Getränken bezahlte wohl keiner mehr als siebzehn Mark. Die Sache hatte nur einen Nachteil, die Brauereigaststätte schloß leider schon gegen 22:00 Uhr und wir mußten uns auf den Rückweg machen.

Erst 22:00 Uhr und schon ins Bett? Nein, das kam für die meisten nicht in Frage. Schau´n wir mal in die Hotelbar rein. Aber da war auch nichts mehr los. Also stiefelten wir los, um uns noch ein wenig die Stadt anzusehen. Nur wenige Meter vom Hotel entfernt lag ein Lokal. Für die meisten war hier der Stadtrundgang schon zu Ende, sie blieben gleich dort. Für Frau Antje, Michael, Olaf und mich kam das aber nicht in Frage. Jetzt sind wir schon mal hier, jetzt wollen wir uns auch die Stadt ansehen. Also schlenderten wir im Quartett weiter. Leider ist Plzen nicht gerade eine schöne Stadt und auf der Straße waren kaum Leute unterwegs, sogar Autos waren selten. In einer Seitengasse fanden wir schließlich ein tschechisches Eiscafe, wo aber leider nur noch der Straßenverkauf offen war. Wir kauften uns jeder eine Tüte von der viel zu süßen und viel zu farbigen gefrorenen Masse. Na gut, man konnte es essen, aber mir wäre das Softeis vom Hamburgerladen, den wir eben passiert hatten, doch lieber gewesen.

Ein paar Straßen weiter fanden wir dann ein Pub, zumindest nannte es sich so. Der Eingang lag im Kellergeschoß, also erst einmal durch das Kellerfenster gespickelt, wie es da drinnen so aussieht. Wir entdeckten einen Kellerraum mit alten Sitzkissen, viel Schmutz und dunkle Gestalten. Nee, das müssen wir uns nicht antun. An einer Ecke schien eine Kneipe zu sein, zumindest hängen an der Tür Werbeplakate für irisches Bier. Die Tür ist abgeschlossen, aber durch ein kleines Fenster in der Tür können wir sehen, daß drinnen was los ist. Michael drückt auf die Klingel, ich zähle unsere restlichen Kronen. Noch etwas über hundert Kronen sind übrig, ca. 5 DM also. Reicht das für uns vier? Olaf und Frau Antje ist nicht ganz wohl in ihrer Haut. Ein kleines Plakat mit einem gezeichneten nackten Frauenkörper läßt sie vermuten, daß die Kneipe eine Schlampenbar ist. Während Michael nochmals klingelte, verabschiedeten sich die beiden und gingen zum Hotel zurück. Nach dem dritten Klingeln, öffnet sich endlich die Tür. Ein junger Typ bat uns hinein und schloß hinter uns wieder ab.

Drinnen sah es aus wie in einem Irish Pub, viele junge Leute, laute Musik (deshalb mußten wir so oft klingeln) aus den Eighties, eigentlich ganz toll. Hier bleiben wir erst mal, beschlossen wir einstimmig. Wir bestellten uns jeder ein Bier und es blieb noch genug Geld für weitere übrig. Als wir etwas später unser zweites Bierchen schlürften, änderte sich plötzlich die Musikrichtung und ein Spot richtete seinen Lichtstrahl auf eine winzige Bühne. Ein ziemlich großes Mädchen, bestimmt so 1,90 m lang, begann auf der Bühne zu tanzen. Nach und nach fielen die sowieso nur spärlichen Kleidungsstücke. Das hatten wir jetzt nicht erwartet, eine ganz normale Musikkneipe, in der auch noch gestript wird, super. Vor allen Dingen, weil ein Bier (0,3 l) hier nichtmal eine Mark kostet. Mit zunehmender Entblößung wurde die Stimmung immer aufgeheizter, die Leute klatschten im Takt, die Stripperin schmiegte sich reihum an die Männer in ihrer Nähe und wir fragten uns, warum wir eigentlich auf der falschen Seite stehen ;-))).

Nach einer guten viertel Stunde war die Show vorbei, die Stimmung blieb aber. Plötzlich sprang ein junger betrunkener Kerl auf die Bühne und begann auch zu strippen. Nun ja, er war, im Gegensatz zum weiblichen Pendant, nicht gerade unsere Kragenweite und so bestellten wir lieber ein drittes Pivo (=Bier). Nachdem sich der Junge ganz wie Gott ihn schuf präsentiert hatte, wechselte wieder die Musikrichtung und ein süßes Mädel spielte Gogo-Girl. Sie tanzte fantastisch und unsere Blicke hafteten wie Magnete an ihren Bewegungen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, daß sich die Zeiger langsam der 03:00 Uhr Marke näherten. Nach den langen Nächten bei Luigi hatte ich dann doch langsam genug, zumal meine Augen brannten wie Feuer, vom Rauch natürlich ;-))). Michael wollte noch etwas bleiben, also machte ich mich alleine auf den Weg zurück zum Hotel.

Am Hotel angelangt, fand ich alle Türen verschlossen vor. Zum Glück fand ich im Dunkeln zufällig eine Klingel. Nach mehrmaligen Versuchen kam auch tatsächlich jemand und öffnete, meine Bettruhe war gerettet. Ich ging dann so leise wie möglich ins Zimmer, um Frau Antje nicht zu wecken, aber sie hatte mich trotzdem schon bemerkt. Nachdem ich ihr die aktuelle Uhrzeit mitgeteilt hatte, sagte sie plötzlich: ”Puuh, du stinkst!“ Ich schaute erst einmal betreten vor mich und sog die Luft durch meine Nase. ”Wieso?“ fragte ich. ”Nach Zigarettenqualm, aber frag nicht wie sehr“, antwortete da die passionierte Nichtraucherin. Ich öffnete die Fenster, damit ”mein Gestank“ etwas abziehen konnte und legte mich schlafen.

Um kurz nach acht saß ich schon wieder bei Frau Antje Michael und Olaf am Frühstückstisch. Noch nicht ganz Herr über meine Motorik, warf ich dann erst einmal eine Ketchupflasche auf den Boden (das war leider nicht das letzte was durch meine Schuld vom Tisch fiel), deren Deckel sich auch prompt öffnete und ihr Inhalt ergoß sich über den Teppichboden. Komisch, dachte ich, wenn man das Zeug wirklich da raushaben will, muß man schütteln wie blöd. Mit einigen Servietten hatten wir dann, unter den strafenden Augen der anderen Gäste, den Schaden schnell vertuscht. Punkt 10:00 Uhr standen dann alle gestiefelt und gespornt im Hotelhof. Zunächst fuhren wir wieder zur Brauerei, um vor dem schönen Säulentor noch einige schöne Gruppenaufnahmen zu schießen. Dann gings weiter nach Marienbad, einer ehemals mondänen Kurstadt, deren Fassaden aber im Gegensatz zu denen in Plzen erhalten bzw. restauriert wurden. Leider mußten sich Olaf und Michael dann schon verabschieden, schließlich hatten sie noch einen weiten Weg bis Hannover zurückzulegen.

Um zwei liebe Freunde ärmer ging es dann zu Fuß in die Innenstadt. Wir wollten uns ein schönes sonniges Plätzchen suchen, wo wir auch eine Kleinigkeit essen könnten. Leider hatten auch viele Bustouristen diese Idee und für ein Dutzend Transalper war nirgends mehr genug Platz zu finden. Nachdem wir Marienbad zum zweitenmal systematisch durchkämmt hatten, fanden wir schließlich doch noch ein Plätzchen in einem Restaurant. Nach dem Essen tankten wir noch die Maschinen auf und ab dann führte Luigi die Alp-Bande auf ausgesucht schönen Sträßchen von Marienbad über Velka Hledsebe, Drmoul, Trstenice, Zadni Chodov, Broumov und Ukrizku zur Grenze.

Hinter der Grenze verabschiedeten sich die Münchner und es blieben nur noch Frau Antje, Bettina, Imke, Stefan, Florian, Luigi, Marco, Andreas und ich übrig. Luigi führte uns durch Tirschenreuth und Windisch Eschenbach - der nördlichen Oberpfalz also - weiter nach Kemnath und Creussen und schließlich nach Trockau, dem Einstieg in die Fränkische Schweiz. Von da aus fuhren wir durch das Ahorntal, vorbei an Burg Rabenstein und den Sophienhöhlen das Wiesenttal hoch, flogen dort durch die ”Applauskurve“ und mußten uns gegen die tiefstehende Sonne regelrecht im Blindflug zur Kathi vortasten, wo wir uns mit Kuchen, Würstchen und Gulaschsuppe wieder stärkten. Bevor uns Marco auf dem Parkplatz noch ein paar Wheelies mit seiner Alp zeigte, trafen wir noch einige ”Frankenbiker“, kurz FBI genannt, zu deren Club sich auch Luigi zählt.

Nach einer sehr flotten Rückfahrt von der Kathi aus, kamen wir mit dem Dunkelwerden wieder in Walsvillage an, verfrachteten unsere Alps auf den Hänger und nach einem Kaffee von Imke wurden Frau Antje und ich von Luigi zur Dosenbahn gebracht, die leider mit zahlreichen Staus auf uns wartete. Ein sehr schönes Wochenende fand seinen Abschluß, an das wir uns gerne erinnern werden. Nochmals vielen Dank an die Organisatoren des Franken-Stammtischs für ihre tolle Arbeit.