Cran Canaria

Winterflucht

von Stefan Kremer

Minusgrade, brrrr. Schneidiger Wind, igitt! Nix wie weg - hieß folgerichtig unsere Devise Ende Dezember. "Adios" - verschneites Schwabach - "¡Holla!" - sonnige Kanaren. Last minute und ohne feste Hotelbuchung saßen wir also am vorletzten Tag des Jahres im Touriebomber Richtung Las Palmas. Alle Vorurteile schoßen uns durch den Kopf und wurden schon bei der Ankunft bestätigt. "99,9 % der Insel sind ausgebucht, Señor." Empfängt uns die Touristinfo. Ok, 0,1 % reicht mir und meiner kleinen Frau völlig - aber dieser unsortierte Haufen kennt die freien Plätze einfach nicht.

Gut, das wir unser Zelt vorsorglich eingepackt haben. Nach einigen kleinen Umwegen landen wir am Stausee Cuevas de las Niñas. Die dort ausgewiesene "Zona Acampada" läßt sich am ehesten noch mit "Picknick-Areal" übersetzen, "Zeltplatz" wäre zu viel gesagt: Fliessend kalt Wasser, aufgemauerte Feuerstelle und Sitzgelegenheit - das war's. Für alles übrige stehen die Gebüsche der näheren Umgebung zur freien Auswahl. Aber hier oben in den Bergen gefällt's uns halt. Das Klima ist - im Vergleich zur Küste - angenehm mild und für Touren rund um die Insel haben wir hier einen strategisch günstigen Platz: 10 km Anfahrt nach Ayacata und von dort verzweigen sich die Straßen in alle vier Himmelsrichtungen.

Nachdem wir mit allem notwendigen versorgt sind, geht's nach Maspalomas um das "Goodie" des Urlaubs einzusammeln: eine Transalp (hat irgendjemand geglaubt, wir könnten einen Urlaub ohne so was verbringen? - Also!). Maspalomas selbst ist weißgott nichts sehenswertes. Hotel reiht sich an Hotel, Bungalowsiedlung an Bungalowsiedlung und Einkaufscenter an Einkaufscenter. Dazu noch die schwüle Luft, die uns - die aus der Kälte kamen - schlicht erdrückt - nur raus hier! Bei Dieter's Bikeverleih gabeln wir unsere Alp auf. 94er Baujahr und - "... ist halt `ne Mietmaschine, hat schon einiges gesehen..." - nicht gerade in allerbestem Zustand. Gefahrene Entfernung und Geschwindigkeit heißt's schätzen, der Tachoantrieb hat den Geist aufgegeben. Wie lange die 90.000 km wirklich zurückliegen, weiß nur Dieter. Die Verkleidung vereinigt alle Kampfspuren, die denkbar sind auf sich und das Design erinnert nur noch entfernt an die stolze schwarz-silberne Farbe bei der Auslieferung. Die Mischbereifung mit Avon vorn und Dunlop hinten fährt sich geradeaus gut - wie jeder Reifen. Nur in die Kurve mag die abstruse Mischung partout nicht ordentlich einbiegen.

Schade eigentlich, denn wenn es etwas gibt, was diese Insel als Moppedparadies ausmacht, dann sind es Kurven, Kurven und ... Schotter! Zunächst mal starten wir eine Tour durch die Cumbre - dem Hochland. Die Schluchten, auf gutspanisch: Barrancos, die von der Mitte der Insel bis zur Küste reichen, sind durchaus von einer Dimension, das man sich mitten im wilden Westen fühlt. Als erstes wollen wir zu den alten Kultstätten der Guanchen - der Ureinwohner der Kanaren. Im Barranco de Guayadeque finden wir alte Höhlenwohnungen, die z.T. heute noch bewohnt sind. Von dort führt eine schmale Piste (Qualität Zoncolan) bis hinauf zum Pico de las Nieves - dem höchsten Berg Gran Canarias. Die Aussicht ist grandios, bis runter in die Dünen von Maspalomas und rüber zum Roque Nublo dem auffälligsten Monolithen auf der Insel.

Anderntags wollen wir den Nordwesten erkunden. Über Artenara fahren wir durch eine enge Schlucht hinunter bis Puerto de San Nicolas. Die Straße ist abenteuerlich in den Fels geschlagen und steht einer Alpentour in nichts nach! Keine 500 m gerade Strecke lassen sich am Stück entdecken. Der Hafen von San Nicolas lädt uns mit seiner beschaulichen Ruhe zu einer Rast von der Kurbelei ein. Wir sollten noch öfter hier sein. Von San Nicolas geht's der Küste entlang bis nach Agaete. Grandiose 40 km klebt die Straße an der steilen Küstenlinie und wir schweben fast eine Stunde lang zwischen Himmel und Erde. Mehr als ein 40er Schnitt ist tatsächlich nicht drin - nicht auf dieser und auf kaum einer anderen Straße. Agaete entpuppt sich als malerischer Ort mit engen Gassen und einem kleinen Hafen, von dem die Fähre nach Teneriffa ablegt, in dem wir Mittag machen.

Auf dem Rückweg in die Berge werden wir dann von einem Unwetter überrascht. Je höher wir fahren, um so düsterer wird es - nicht schwarz, nein dunkelrot verfinstert sich die Sonne in einer Art "Schlammsturm". Die rote Vulkanerde wird durch den Sturm hochgeschleudert und vermischt sich mit der feuchten Luft. Eine irre Szenerie, die uns aber doch bedenklich stimmt - steht unser Zelt noch? Oder dürfen wir nach Ankunft unsere Habe im Umkreis von Kilometern einsammeln? Wir haben nicht einmal die Chance es rechtzeitig zu überprüfen. Für die 20 km die uns noch von unserem Lager trennen brauchen wir mehr als zwei Stunden! Schwein gehabt - es ist noch alles trocken und steht am rechten Platz. Dennoch, für die folgende Nacht trauen wir unserem Mietwagen mehr Stabilität und Schutz zu, als unserem Zelt.

Falscher Fehler, wie sich am anderen Morgen herausstellt: der Renault Clio hat reichlich Wasser durch die Heckklappe gefaßt, das Zelt steht wie eine Eins. Wir sammeln unsere Plünnen ein und starten wieder Richtung San Nicolas, weniger der genialen Strecke wegen, als eines kleinen Hotels, das uns empfohlen wurde. Und auch das Wetter entpuppt sich an der Küste als wesentlich beständiger als in den Bergen. Bereits einen Tag später sitzen wir am Strand und trocknen unsere Plünnen in der Sonne. Die Berge sind für uns erstmal gestorben. Wenn auch der Sturm nicht mehr tobt - naß ist es dort allemal. So erkunden wir die Strände des Südens.

Einer der schönsten ist für uns der Playa de Veneguera. Nicht nur wegen der 10 km Anfahrt über eine Schotterpiste mit Dschungelqualität. Der Strand selbst wurde von Naturschützern vor der Besiedelung gerettet und liegt nun völlig einsam da. Keine Pauschies, keine Busse, die Ruhe wird bestenfalls einmal durch einen der vorbeikommenden und ankernden Segler etwas gestört.

Am Freitag ist Markt in Puerto de Mogan. Also früh aufgestanden und die Straße nach Süden eingeschlagen. Puerto de Mogan ist eigentlich - so wie auch Playa del Ingles oder Maspalomas künstlich und nur für die Touristen entstanden. Dennoch ist es gelungen, ein wunderschönes südländisches Flair in die unauffällige Architektur einzubauen. Und mitten im Markt kommt sogar ein Gefühl für das nur 150 km entfernte Afrika auf - Elfenbeinschnitzereien werden von schwarzen "Mummies" feilgeboten. Mindestens so echt, wie die anderen "artesanals" - allesamt auf einen Kilometer Entfernung als "Made in Hongkong" auszumachen. Egal, das Ambiente ist einfach unbeschreiblich und wir können uns erst lösen, als die Invasion von Engländern, Skandinaviern und Deutschen, die aus den umliegenden Touristenburgen angekachelt wurden, zu groß wird.

Tagsdrauf scheint sich auch das Wetter in den Bergen wieder zu bessern. Der Wetterbericht der örtlichen Tageszeitung zeigt auch in der Mitte der Insel die strahlende Sonne. Wir beschließen unser Glück in der Gegend um Moya und Teror zu versuchen. Immerhin, das meiste Wasser kommt nicht vom Himmel, sondern fließt in Kaskaden mitten durch Firgas, der - entgegen der meisten anderen Orte auf Gran Canaria - über eigene Quellen verfügt und den Rest der Insel mit dem knappen Wasser versorgt. Dennoch ist die Luft mehr als nur feucht - und schon gar nicht heiß, als wir den Rückweg durch den Barranco del Laurel antreten, der komplett unter Naturschutz steht. Steinalte Pflanzen, wie Eukalyptus-, Lorbeer- und Drachenbäume, stehen hier dicht an dicht und die kleine asphaltierte Straße windet sich unaufdringlich durch diesen Urwald - märchenhaft!

Unser Urlaub neigt sich langsam den Ende zu. Wir haben alles auf der Insel gesehen - außer dem Roque Nublo. Der "Fels im Nebel" hat bisher seinem Namen alle Ehre gemacht. Und so ist es nur logisch, das wir am letzten Tag vor dem Abflug, als sich die Sonne über den Bergen festsetzt hinauf auf den Nublo wollen. Vom Parkplatz aus sind es gut eine halbe Stunde Fußmarsch. Die Belohnung folgt umgehend. Der Ausblick reicht fast rund um die Insel und weiter bis zum benachbarten Teneriffa, wo der Teide - höchster Berg Spaniens - durch die Wolkendecke spitzt.

Noch einmal das ganze Programm: Nach den Bergen soll's auch noch Strand geben. So verlassen wir den Nublo und starten zum Playa de Amadores - einem zwar künstlichen, aber wunderschönen Sandstrand. Und Gran Canaria belohnt uns zum Abschied mit einem traumhaften Sonnenuntergang - wir sollen wohl wiederkommen....