Im Land des Kondors

Penco (Zentralchile) - La Paz (Bolivien) 2. Etappe der Südamerikafahrt

Als ich das verrostete Etwas unter der Plane hervorzog, konnte ich kaum glauben, dass dies meine Transalp war, die ich 8 Monate zuvor im Hof einer befreundeten chilenischen Familie abgestellt hatte. Aber der regenreiche Winter und die salzhaltige Seeluft in dem Hafenstädtchen Penco hatten ihr sehr zugesetzt. Im 100km entfernten Chillan besorgte ich eine neue Batterie und es gab einen neuen Hinterreifen (Pirelli MT60) und neue Bremsbeläge. Durch das fruchtbare, von Obstplantagen und Weinfeldern dominierte zentrale Tal fuhr ich Richtung Santiago. Im Osten begleiteten schneebedeckte Berge, im Westen niedrige Hügel die Fahrt. Über den gut ausgebauten 3100m hohen Los Libertadores Pass erreichte ich nach vielen Serpentinen Argentinien. Bei der Ausreise gab es keine Probleme, da die zuvor beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für das Motorrad gewährt worden war.

Vorbei am 6960m hohen Aconcagua, dem höchsten Berg außerhalb Asiens, erreichte ich Puente del Inca. Eine Naturbrücke mit von einer Lawine zerstörten Thermalbädern hebt sich malerisch von den umgebenden Schneebergen ab. Leider erfuhr ich, dass die weiter nördlich gelegenen hohen Pässe (Agua Negra und San Francisco) noch Wintersperre hatten. Daher kehrte ich um und fuhr wieder über den Los Libertadores zurück nach Chile.

Als ich an der chilenischen Zollstation mit allen Stempeln und Formularen zu meinem Motorrad zurückkam, zeigte ein freundlicher Zollbeamter auf eine Öllache unter meinem Motorrad. Irgendwo hatte sich ein Leck im Ölkreislauf gebildet. Gedanken wie ? Motorschaden und Reise zu Ende obwohl Du noch nicht mal die Hälfte des Landes gesehen hast? schossen mir durch den Kopf. Bei näherer Betrachtung war erkennbar, dass das Leck nur unter dem Motor sein konnte. Ich füllte Öl nach, und mit den guten Wünschen der Zollbeamten, die mir eine Motorradwerkstatt im 60km entfernten, und 3000m tiefer liegenden Los Andes empfahlen, fuhr ich sehr vorsichtig weiter. Am Ende der 29 gut ausgebauten Serpentinen des Los Libertadores Passes in der beeindruckenden Hochgebirgslandschaft zwischen den höchsten Bergen der Anden überprüfte ich wieder den Ölstand. Mit einem Mal nachfüllen erreichte ich die nette Kleinstadt Los Andes, die eingebettet in grüne Obst- und Weinplantagen vor der gewaltigen Kulisse der vergletscherten 6-7000m hohen Andengipfel liegt. Dort stellte sich heraus, dass beim Ölwechsel in einer Motorradwerkstatt im 600km weiter südlich liegenden Chillan wohl ein nicht richtig passender Ölfilter verwandt worden war. Um kein Risiko einzugehen, nahm ich den aus Deutschland mitgebrachten Ölfilter und baute ihn auf dem Bürgersteig vor einer Motorradwerkstatt ein und konnte meine Fahrt nach Norden fortsetzen. Über die Lebensader Chiles, die 3000km lange, oft autobahnmäßig ausgebaute Nationalstrasse 5 erreichte ich die Provinzstadt Ovalle. Hier zweigt eine gute Piste durch das fruchtbare Hurtado Tal Richtung Westen ab. Durch die trockenen, fast unbewachsenen Vorbergen der Anden schlängelte sich die einsame Piste über mehrere Pässe, durch fast ausgetrocknete Bäche und mit Kakteen übersäte Hügel an mehreren großen Observatorien vorbei. In der trockenen und klaren Luft Nordchiles haben viele Forschungsinstitute aus aller Welt kuppelgekrönte Beobachtungsstationen errichtet.

In der netten Stadt Vicuna, die vom vor 100 Jahren errichteten hölzernen Stadtturm Torre Bauer überragt wird, erholte ich mich am klaren Pool des kleinen Campingplatzes. Im Anschluss besuchte ich die historische Altstadt von La Serena, dessen Stadtbild noch von den alten spanischen Kolonialbauten geprägt wird. Von dort führt die N5 weiter nach Norden. Dabei ist der Übergang von der Steppe zur Wüste bemerkbar. Da es einige Tage vorher einen der seltenen Regenschauer gegeben hatte, begleitete ein bunter Blumenteppich die einsame Strasse. Nur hin und wieder begegnete mir ein LKW oder ein Bus. In der Atacama Wüste war von den Blumen nichts mehr zu sehen. Hier hats seit dem Beginn der Aufzeichnungen vor etwa 500 Jahren nicht mehr geregnet. In dieser Wüste liegen etwa 80 Salpeterminenruinen. Vor etwa 100 Jahren gab es einen wahren Boom der Chile und den Salpeterbaronen großen Reichtum brachte. Die Arbeiter wurden in schlimmster frühkapitalistischer Weise wie Sklaven gehalten und ausgebeutet. Bei Aufständen gegen die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen im brutalen Wüstenklima, schoss die Armee rücksichtslos auf die Streikenden. Durch die Erfindung von künstlichen Düngemitteln in den zwanziger Jahren wurden die chilenischen Minen geschlossen und verfielen seitdem. Sie bieten heutzutage ein trauriges und gespenstisches Bild.

Kurz vor Antofagasta steht am Straßenrand eine etwa 20m hohe Hand. Das Kunstwerk wurde 1992 erstellt, ist aber inzwischen von Graffiti verunstaltet. Die Fahrt in die größte Stadt Nordchiles, Antofagasta war eine willkommene Abwechslung von der öden Kilometerbolzerei durch die Wüste, Die Strasse schlängelte sich kurvenreich durch ein enges Tal zur Küste. Die Stadt liegt langgestreckt am Pazifik, eingezwängt zwischen Strand und kahlen Bergen. Sehenswert sind vor allem die Plaza Colon mit der Kathedrale sowie die schön restaurierten Gebäude der Eisenbahnverwaltung aus der Gründerzeit. In den großen Supermärkten besorgte ich mir den Proviant für die bevorstehenden Wüstenetappen mit einem stetigen Anstieg auf 3700m. Meine Transalp zeigte auch auf dieser Höhe keinerlei Schwächen. Die Abfahrt in die 2300m hoch gelegene Oase San Pedro de Atacama war beeindruckend. Der Blick schweifte über den riesigen Salzsee Salar de Atacama, die grünen Punkte der Oasen im braunen Ödland sowie die 5-6000m hohen Vulkane die die weitausgestreckte Hochebene im Halbkreis einrahmen und umgeben. Besonders der ebenmäßig geformte Vulkan Lincancabur (5916m) überragt eindrucksvoll das kleine Dorf San Pedro.

Die Strasse durchbricht kurvenreich die Cuesta del Sal, eine bizarre Sandstein und Salzlandschaft, durchquert die trockenen Ausläufer des Salzsees bevor der Asphalt am Ortsrand von San Pedro endet. Der Ort hat viel von seiner ursprüngliche Atmosphäre bewahrt obwohl der Abenteuertourismus inzwischen der größte Arbeitgeber ist. Viele Restaurants, Pensionen und kleine Campingplätze haben sich auf die Bedürfnisse der Rucksacktouristen eingestellt. Besonders empfehlenswert sind Abstecher zu den Flamingos im Salzsee, die über eine schneeweiß leuchtende Salzpiste erreicht werden sowie zu den tiefblauen Lagunen von Miscanti und Miniques auf über 4000m Höhe. Diese werden eindrucksvoll von den gleichnamigen Bergen überragt. Ein spektakulärer Anblick.

Der absolute Höhepunkt war jedoch der Besuch der Geysire von El Tatio. Die Piste führt am Rande des Andenhauptkamms über 90km nach Norden. Sie steigt dabei auf 4300 m an und führt mit vielen Wellblech, Sand und holprigen Felsabschnitten versehen über das einsame Altiplano Hochland. Drei kleine Wasserdurchfahrten stellten die Transalp vor keine Probleme. Die Geysire liegen in einem breiten Hochtal und werden von beeindruckenden Bergen eingerahmt. Ich baute mein Zelt an einer windgeschützten Stelle inmitten der blubbernden, zischenden und dampfenden Löcher auf. Aufgrund der großen Höhe dauerte dies wesentlich länger als normalerweise. Kein Mensch störte die Ruhe, ich war alleine und konnte die vielen Geysire ausgiebig erkunden. Das Bad in einem kleinen, von heißen Quellen gespeisten Pool war eine Wohltat. Mein Abendessen kochte ich im heißen Wasser eine Quelle. Dabei sollte man sich vor der dünnen Erdkruste in acht nehmen. Wenn ich damals schon gewusst hätte, dass einige Quellen arsenhaltiges Wasser haben, hätte ich wohl nicht so sorglos die heißen Quellen als Herd benutzt.

Am Abend gab es einen unvergesslichen Sonnenuntergang. Die Abendsonne ließ die umliegenden Berge in rotem Licht leuchten, und die Geysire dampften dabei um die Wette. Nachts hatte ich unter der Höhenkrankheit zu leiden. Starke Kopfschmerzen hinderten mich am Schlafen. Dies gab mir aber Gelegenheit den unbeschreiblich schönen Sternenhimmel in der trockenen, frostig kalten und klaren Nacht zu bewundern. Keine künstliche Lichtquelle Umkreis von mindestens 50km störte diesen Eindruck.

Am Morgen machte ich mich bei frostigen Temperaturen auf weitere Erkundungsspaziergänge. Die Geysire dampften noch stärker als am Abend. Dies lag wohl an den niedrigen Temperaturen. Die Tourveranstalter in San Pedro behaupten dagegen, dass die Geysire am Morgen noch aktiver seien als am Abend. Diesen Eindruck hatte ich nicht. Das Argument dient wohl eher dazu, Touristen in die vielen Kleinbusse zu bringen, die jeden Morgen um 4 Uhr zu den Geysiren hinausfahren. Daher war es um die Ruhe bald schlecht bestellt. Immer mehr Touristen kamen und ich war froh, gestern Nachmittag schon die Gelegenheit gehabt zu haben, die Landschaft alleine zu genießen. Als am Morgen die Sonne den Frost verdrängt hatte, packte ich mein Zelt auf die Transalp und fuhr zurück nach San Pedro. An den Wasserdurchfahrten hatte sich am Rand jeweils ein halber Meter Eis gebildet, der aber unter dem Gewicht des Motorrads knirschend einbrach. Auf der Holperstrecke war ich froh, dass ich vor der Tour ein Technoflex Federbein eingebaut hatte. Dieses überzeugte auch in den schwierigsten Situationen.

In San Pedro genoß ich nochmals die Annehmlichkeiten eines Touristenlebens in den netten Bars des Dorfes. Das Reisefieber trieb mich jedoch bald weiter. Nach 200km erreichte ich die Küste und fuhr weiter immer nach Norden. Die kahle Steilküste wirkt abweisend. Dieser Eindruck wurde noch durch den grauen Seenebel bestärkt, der auf langen Streckenabschnitten über der Küste lag. In Iquique gibt es eine große Freihandelszone mit mehreren großen Motorradhändlern. Aber selbst dort konnte ich keinen Ersatz für meine desolate Kette bekommen. Auch der bei vielen Travellern bekannte Sergio Cortez, der bereits vielen Motorradreisenden geholfen hatte, konnte mir keinen Tipp geben. Dies bedeutete, dass ich keine großen Offroad Abenteuer unternehmen kann. Meine Hoffnung lag nun auf dem Honda Händler in La Paz, Bolivien. Auf dem weiteren Weg nach Norden fuhr ich zusammen mit Chenda und Stephan aus England, die mit einer NTV650 die Welt umrunden. Die Atacama Wüste schien kein Ende zu nehmen. Selbst die Ureinwohner scheinen sich hier gelangweilt zu haben. Warum sonst sollten sie riesige Steinzeichnungen auf Schotterhängen produziert haben. Diese Geoglyphen sieht man mehrfach vom Strassenrand aus. In Arica, der nördlichsten Stadt Chiles trennten wir uns und ich fuhr auf einer gut ausgebauten Strasse 3500 Höhenmeter aufwärts in die Anden. Im kleinen Städtchen Putre, welches von einem verschneiten Vulkan überragt wird, hatte ich große Schwierigkeiten ein Quartier zu bekommen. Am Ende durfte ich meinen Schlafsack auf dem frisch verlegten Estrich eines Neubaus ausbreiten, während die Transalp im Frühstücksraum der Pension übernachten durfte. Von Putre aus steigt die Strasse weitere 1000m an und erreicht den Lauca Nationalpark. An der spektakulären, 4600m hoch gelegenen Laguna Chungara stockte mir nicht nur wegen der Höhe der Atem. Der See wird von den über 6000m hohen, vergletscherten Vulkanen Parinacotta und Pomerape überragt die sich im ruhigen Wasser äußerst fotogen spiegelten. Über einen kleinen, etwa 4700m hohen Paß erreichte ich Bolivien. Die Einreise mit dem Motorrad ging problemlos vonstatten und ich konnte mich der grandiosen Landschaft des Sajama Nationalparks zuwenden.

Lamaherden bevölkerten die Steppe des Altiplanos, welche vom 6548m hohen Vulkan Sajama dominiert wird. Seine Gletscher spiegelten sich in einem kleinen See und führten zu hektischen Fotoaktivitäten meinerseits. Ab 2500m Höhe musste ich das Standgas etwas hochdrehen, aber bis 4500m Höhe lief die Transalp noch gut, wenn auch ein paar PS fehlten. Erst oberhalb von 4500m gab es beim Beschleunigen manchmal Zündaussetzer. Es fehlt doch der Sauerstoff. Über das wellige, etwa 4000m hoch gelegene Hochland des Altiplano, vorbei an ärmlichen Dörfern und Gehöften fuhr ich zu den Thermen von Urmiri, 70km südlich von La Paz. Alleine die spektakuläre Anfahrt zu den tief im Tal an einem steilen Hang gelegenen heißen Quellen ist den Besuch wert. Die einspurige Schotterpiste klebte in einem Steilhang und wand sich in unendlich vielen engen Kehren in die Tiefe, Von oben sah es aus wie ein überdimensionaler Korkenzieher.

Das kleine Hotel hat schon bessere Zeiten erlebt, Die Anlage wird von neuen Besitzern erneuert und zu einem naturnahen Gesundheitszentrum ausgebaut. Inzwischen wurden 5000 Blumen und 2000 Bäume gepflanzt. Das Herzstück der Anlage sind die drei heißen Pools, welche aus 7 Thermalquellen gespeist werden.

Am liebsten saß ich in der heißesten Quelle an einem senkrechten Felshang, wo ein kleiner Wasserfall das heiße Wasser ins Becken stürzen ließ. Am Wochenende sind die Thermen gut besucht, unter der Woche sind nur wenige Gäste anwesend. Es war ein sehr entspannender Aufenthalt bevor ich mich ins Verkehrsgewirr und die Hektik der Millionenstadt La Paz stürzte. Die Stadt liegt in einem Hochtal auf 3500-4000m Höhe. Die Häuser haben das breite Tal verlassen und die umgebenden Hügel mit einem Teppich von braunen Lehmhäusern überzogen. Im Stadtzentrum fand ich eine kleine Pension, wo ich meine Transalp sicher im Hof abstellen konnte. Leider war die Straße vor dem Haus abends nicht mehr sicher, sodass ich meine Kamera einigen unfreundlichen Ganoven überlassen musste. Der örtliche Honda Händler Walter Nosiglia erklärte sich bereit die Transalp eine Zeit aufzunehmen. Im Anschluß fuhr ich noch zum nahegelegenen Titicacasee und erholte mich im netten Städtchen Copacabana von dem Schock des Überfalls. Die nahegelegenen Inseln der Sonne und des Mondes gelten in der Mytholgie der Inkas als Geburtsort des ersten Inkas, Manko Kapac und seiner Schwester.